Rethinking Industrial Flexibility

5 Fragen an Anna Malakhova-Lehe, Referentin im Bereich Think Tank und strategische Vorhaben beim Kompetenzzentrum Klimaschutz in energieintensiven Industrien (KEI)!

Anna Malakhova-Lehe hat Wärmeenergiesysteme in der Industrie in Moskau studiert und setzte ihren wissenschaftlichen Werdegang in Deutschland mit dem Schwerpunkt regenerative Energiesysteme fort. Vor ihrem Einstieg beim Kompetenzzentrum Klimaschutz in energieintensiven Industrien (KEI) im Jahr 2022 war sie mehr als sechs Jahre bei Themen der Energieversorgung in der schwimmenden Architektur an der BTU Cottbus-Senftenberg und als Planungsingenieurin für TGA und Energiekonzepte bei der Integral Projekt & Co KG GmbH in Cottbus tätig. Dort war sie an wichtigen nationalen und internationalen Projekten zur Steigerung der Energieeffizienz beteiligt.

1. Vielen Dank, liebe Frau Malakhova-Lehe, dass Sie sich Zeit für das Interview nehmen. Als Expertin im Bereich Think Tank und strategische Vorhaben beim Kompetenzzentrum Klimaschutz in energieintensiven Industrien (KEI) haben Sie bereits umfassende Erfahrung mit Themen wie CO2-Abscheidung und Prozesswärme gesammelt. Ihre Arbeit zur Dekarbonisierung und Energieeffizienz in der Industrie bringt wertvolle Impulse für Unternehmen, Politik und Wissenschaft. Die gerade veröffentlichte Studie zur „Flexibilisierung elektrifizierter Industrieprozesse“ ist ein hochaktuelles Thema, das auch das BMWK und die Bundesnetzagentur diesen Sommer in den Fokus gerückt haben. Mit laufenden Konsultationen wird das Potenzial der Flexibilität in der Industrie intensiv diskutiert. Lassen Sie uns also gleich zum Kern der Studie kommen:

Was ist das Hauptziel der Studie zur Flexibilisierung elektrifizierter Industrieprozesse, und welche Herausforderungen sollen dabei adressiert werden?

Das Hauptziel der Studie ist es, Industrieunternehmen und politischen Akteuren eine wissenschaftlich fundierte, aber praxisbezogene Orientierung zu geben. Nicht zuletzt. um bei Industrieprozessen und im bundesweiten Energiesystem mehr Flexibilität im Sinne der Energieerzeugung, des -transports und der -versorgung zu gewährleisten. Technische, betriebswirtschaftliche und regulatorische Herausforderungen stehen dabei stark im Fokus. Während sich bisherige Untersuchungen hauptsächlich auf die Flexibilisierung bestehender Produktionsprozesse konzentrierten, liegt das Hauptaugenmerk unserer Studie auf dem zukünftig klimaneutralen Industrie- und Energiesystem.

2. Welche Potenziale zur Flexibilisierung in energieintensiven Industrieprozessen haben Sie identifiziert, und in welchen Bereichen der Industrie sind diese, Ihren Erkenntnissen nach, besonders ausgeprägt?

Angesichts der bundespolitischen Klimaziele und des aktuell starken Ausbaus erneuerbarer Energien lassen sich zwei Haupttechnologien für die zukünftige Energieversorgung energieintensiver Industrieprozesse identifizieren: eine starke Elektrifizierung der Prozessanlagen und, wo dies nicht möglich ist, der Umstieg auf wasserstoffbasierte Verfahren. Jede Industriebranche ist sehr individuell, was technische Ausstattung und Bedarfe angeht. Und benötigt daher maßgeschneiderte Lösungen.

Zum Beispiel hat im Bereich der Nichteisenmetalle die Elektrifizierung bereits ein hohes Niveau erreicht. In der Glasindustrie (Flachglas) gibt es ebenfalls erhebliche Potenziale für vollelektrische Schmelzwannen was sich auch an der Anzahl der Förderprojekte beim KEI zeigt. Die mineralischen Industrien, wie Kalk und Zement, verfügen laut aktuellem Stand der Technik über weniger Potenzial zur Elektrifizierung und müssen die brennstoffbedingten Emissionen reduzieren und durch klimaneutrale Brennstoffe ersetzen. Stahlunternehmen werden stark auf Wasserstofftechnologien für DRI-Anlagen angewiesen sein. Es kann folglich keine einzelne Branche explizit hervorgehoben werden, da sie alle sehr individuelle Ansätze auszeichnen.

3. Welche methodischen Ansätze und Modelle haben Sie verwendet, um die Flexibilisierungsoptionen in verschiedenen Industriezweigen zu analysieren?

An der Studie hat ein hochqualifiziertes Forschungsteam, vertreten durch das Fraunhofer ISI und das IOB der RWTH Aachen, gearbeitet. Bei der Gesamtanalyse wurden das Energiemodell ENERTILE sowie das Industriemodell FORECAST eingesetzt, um die Energie- und Industriesysteme der Zukunft abzubilden. Kombiniert wird dies mit konkreten Fallbeispielen von Unternehmen aus den Branchen Stahl, Aluminium, Glas, Zement und Chemie, die technischen Möglichkeiten zur CO2-freien Produktion demonstrieren – etwa hinsichtlich der Elektrifizierung, Lastverschiebung oder hybriden Anlagenversorgung.

 

4. Welche konkreten Empfehlungen gibt die Studie für Industrieunternehmen und politische Entscheidungsträger, um die Flexibilisierung der Produktionsprozesse voranzutreiben und regulatorische Hemmnisse abzubauen?

Grundsätzlich sind Lösungsmöglichkeiten für eine stärkere Industrieflexibilität mit drei Stellschrauben verbunden: Technik, Ökonomie und Regulatorik. Die Studie zeigt, dass Industrieunternehmen ihre Prozesse bereits so weit wie technisch möglich optimieren und sich an das fluktuierende Stromangebot anpassen sollten. Auf der einen Seite sind jedoch weitere technische Lösungen erforderlich, um mehr Elektrifizierung und dementsprechend mehr Strombezug aus regenerativen Anlagen zu gewährleisten. Dafür müssen etwa zeitnah mehrere Pilot- und F&E-Anlagen gebaut sowie erprobt werden. Auf der anderen Seite verhindert die aktuelle Regelung zu Stromnetzentgelten durch das Bandlastprivileg ein flexibles Nutzungsverhalten der Abnehmer. Dies kann durch eine Netzentgeltreform mit mehr Anreizen für flexiblen Betrieb gelöst werden. Es braucht beherztes Handeln sämtlicher Akteure in den genannten Bereichen.

5. Vielen Dank für Ihre interessanten Antworten. Wenn Sie einen Wunsch für die zukünftige Entwicklung der Flexibilisierung in der Industrie äußern könnten, was wäre aus Ihrer Sicht der wichtigste Schritt, um langfristig sowohl die Industrie flexibler und das Energiesystem nachhaltiger zu gestalten?

Nicht nur Energie- und Industriesysteme brauchen mehr Flexibilität. Da wo Unternehmen früher langfristige Investitionspläne erstellen konnten, fordern die heutigen Rahmenbedingungen auch in der Wirtschaftsplanung schnellere Entscheidungen. Dazu gehören neben Reinvestitionen für bestehenden Anlagen und Mittelbereitstellungen für innovative Technologien auch die Reaktion auf Preisschwankungen und Zusatzkosten, die sich direkt auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirken. Deshalb finde ich es wichtig, Unternehmen mit Förderprogrammen und weiteren Wirtschaftsinstrumenten wie Klimaschutzverträgen zu unterstützen und zu ermutigen, in Innovationen zu investieren, stärker mit der Wissenschaft zusammenzuarbeiten und Pilotanlagen einzusetzen. Das liegt uns im KEI und mir persönlich besonders am Herzen.

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